Frauenrechtlerin. Pazifistin. Individualistin. Nur wenige Persönlichkeiten der historischen Frauenbewegung stellen nachhaltig eine so kaleidoskopartig schillernde Erscheinung dar, wie die Hamburger Patriziertochter Lida Gustava Heymann.
Im März 1868 ins Hamburger Großbürgertum hineingeboren, hat sie als Mädchen eigentlich nicht viel vom Leben zu erwarten. Auf festgelegten Bahnen sollte es ablaufen: geruhsam, sinnfrei und unter elterlicher Obhut. Doch Lida Heymann begehrt schon früh gegen die an sie gerichteten Vorstellungen auf. Es gibt nur wenige Männer, die sie bewundert. Ihr Vater zählt dazu und Dr. Gieschen, der sich ihrer intellektuell annimmt, sie im journalistischen Schreiben unterweist, ihre verfassten Artikel redigiert. Für den Großteil des männlichen Geschlechts hat sie nur abfällige Bemerkungen übrig. Die meisten Männer sind ihr zu dröge, zu selbstverliebt und zu verlogen, ihr oberflächliches Gebärden, ihr missachtender Umgang mit Frauen widert sie an. Der erste Ball, den sie besucht, lässt sie beinah schockiert zurück. Dies sei „der reinste Heiratsmarkt", so wird sie sich danach äußern und legt fest: „Zu einem solchen Blödsinn gebe ich meine Zeit nicht her, da bleibe ich lieber daheim und lese ein gutes Buch."
Heymanns entscheidender Schritt in die Frauenbewegung vollzieht sich mit der Emanzipation von ihrer Familie, sie steht lediglich mit Vater und Mutter weiterhin in Verbindung. Und erstreitet sich zunächst vor Gericht die Betrauung ihrer selbst als Nachlassverwalterin des väterlichen Vermögens nach dessen Tod. Ab jetzt beginnt Lida Heymann frei über ihre Kräfte zu verfügen, fällt Entscheidungen nach ihrem Belang. Bald macht sie sich in der Hamburger Wohlfahrtspflege nützlich, indem sie Mittagstische für Arbeiterinnen organisiert und mit der Errichtung eines Kinderhortes das gemeinsame Lernen von Mädchen und Jungen vorantreibt. 1896 kommt sie mit dem von Louise Otto-Peters in Leipzig gegründeten ersten deutschen Frauenverein, dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF), in Kontakt. Bei der Erschaffung einer Hamburger Ortsgruppe des ADF gehört sie zu den Gründungsmitgliedern. Der Wechsel in den radikalen Flügel der Frauenbewegung ist danach schnell vollzogen, denn die „Damenkränzchen" des ADF, wie sie sie bezeichnet, gehen Lida Heymann nicht weit genug. Sie kauft ein Haus in der Innenstadt Hamburgs, das zum ersten Frauenzentrum Deutschlands gestaltet wird. Hier werden Beratungsstellen und Frauenvereine unter einem Dach zusammenfasst. Zwei Jahre später ist sie mitten in die politische Frauenrechtsarbeit integriert und wird in der Hansestadt zur Wegbereiterin für die Abschaffung der Prostitution mit der Etablierung des ersten Zweigvereins der Internationalen Abolitionistischen Föderation (IAF).
Im Herbst 1900 verklagt sie den Hamburger Senat wegen Zuhälterei. Weil das Gericht sie nicht ernst nimmt, geht sie durch alle Instanzen. Jedoch ohne Erfolg. Aber: Ihre Hartnäckigkeit macht die Presse aufmerksam, erzeugt Öffentlichkeit und erreicht die Bekanntmachung des Hamburger Bordellsystems in weiten Teilen des Deutschen Kaiserreiches. 1896, im September, besucht Lida Heymann den Internationalen Frauenkongress in Berlin. Hier lernt sie die Münchner Journalistin und Juristin Anita Augspurg kennen. Sie wird fortan ihre engste Vertraute, Freundin und Lebensgefährtin. Gemeinsam bauen sie 1902 den ersten deutschen Verein für Frauenstimmrecht auf und machen mit vielgestaltigen Aktionen wie Flugblättern, Aufklärungsvorträgen, Demonstrationen und Petitionen auf die Bewegung aufmerksam. Im Münchner Umland betreibt sie mit Anita Augspurg einen Bauernhof. Die beiden Frauen leben aus Überzeugung vegetarisch. Als Lida Heymann 1914 als Erste ihre Stimme öffentlich gegen die Kriegseuphorie in Deutschland erhebt, steht sie damit sehr einsam. Mit 60 Jahren absolviert sie noch die Führerscheinprüfung, um gemeinsam mit Anita Augspurg zu reisen. Nachdem sie bereits 1923 die Ausweisung Hitlers aus Deutschland gefordert hatte, steht sie zu Beginn der Diktatur auf den Todeslisten der Nationalsozialisten. Sie und Augspurg finden Asyl in der Schweiz, aber einen neuen Weltkrieg können sie trotz der Fortführung ihrer Friedensaktivitäten nicht verhindern.
Lange war diese Frau eine Vergessene, ihr Pioniergeist lange von gesellschaftlichen und politischen Systemen nicht wahrgenommen. Obwohl sie außergewöhnlich rege für ein Umdenken in den Köpfen der Menschen kämpfte. Lida Heymann war der mutige Stachel einer bigotten, militaristischen Gesellschaft und mit ihrem Engagement, ihrem fortschrittlichen Denken ihren Zeitgenossen weit voraus.
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Quellen:
Christiane Himmelsbach: „Verlass ist nur auf unsere eigene Kraft!". Lida Gustava Heymann - eine Kämpferin für die Frauenrechte. Oldenburg: BIS-Verlag 1996.
Lida Gustava Heymann/ Anita Augspurg: Erlebtes - Erschautes: Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940. Hrsg. von Margrit Twellmann. Meisenheim am Glan: Hain-Verlag 1972.