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Ingrid Annel

Esel Erasmus unterwegs im sagenhaften Erfurt
Geschichten und Sagen über das mittelalterliche Erfurt

Die Erfurter Autorin Ingrid Annel lädt ein in eine sagenhafte Erfurter Welt der Vergangenheit, in der Esel Erasmus Martin Luther trifft und die Zaubereien des Magiers Faust miterlebt.

Adele Schopenhauer

Adele Schopenhauer

Ulrike Unger

Die Einsame

„Ich denke mir das meiste, weil ich kein Glück hatte und keinen Mut bekam."

Adele Schopenhauer stand zeitlebens im Schatten des Sterns ihrer Schriftsteller-Mutter Johanna. Bedingt dadurch entwickelte die jüngere Schwester Arthur Schopenhauers ihre eigene träumerische Realität. Nach ihrem Tod war es vor allem der mittlerweile berühmte Bruder, für den sich die Biografen interessierten. Die Geschichte Adeles blieb lange blass.

Nicht nur Mitglieder der Weimarer Gesellschaft, unter deren intellektuellen Einfluss sie viele Jahre stand, sagten Adele eine gewisse körperliche Hässlichkeit und Unförmigkeit ihrer Bewegungen nach. Sie wurde bedauert und belächelt. Zähes Ringen nach Aufmerksamkeit und das immer wieder scheiternde erotische Interesse vonseiten eines männlichen Gegenübers, ließen sie bald selber daran glauben, als Person wertlos und ohne Anziehung zu sein. Sie flüchtete sich in Entsagung. Heimat wurden ihr ihre Tagträume, die sie mit ihren Fantasien füllte. 

Johanna und Adele Schopenhauer (als Kind), 1806
Johanna und Adele Schopenhauer (als Kind), 1806

Die einzige Tochter einer Danziger Großkaufmannsfamilie wurde 1797 in Hamburg geboren. Die Familie, die zum angesehenen Stand gehörte, hatte sich nach der preußischen Besetzung der freien Reichsstadt Danzig aus dieser zurückgezogen, da dem republikanisch gesinnten Vater diese Fremdherrschaft unerträglich war. Die Verbindung zum älteren Bruder Arthur war stets kühl und distanziert. Nie gelang es Adele, trotz Versuche ihrerseits, sich ihm als Bruder anzunähern. Arthur erwiderte ihre schwesterliche Zuneigung nicht.

Bereits zu dieser Zeit pflegten die Schopenhauers Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten und luden diese zu sich in ihr Wohnhaus (Neuer Wandrahm 92, auf dem Gebiet der heutigen Speicherstadt) ein. Zu Besuch kamen, so berichtet Adeles Mutter in ihren Memoiren, Friedrich Gottlieb Klopstock, Goethes Maler-Freund Johann Wilhelm Heinrich Tischbein und sogar Lord Nelson und die Lady Hamilton. 1805 starb Adeles Vater beim Sturz aus dem Dachspeicher des Hauses in das Fleet hinter dem Gebäude. Ob sein Tod ein Unfall oder beabsichtigter Suizid war, ist bisher unergründet.

1806 war Adele Schopenhauer neun Jahre alt und zog mit der Mutter nach Weimar. Diese begann jetzt ihre schriftstellerischen Ambitionen voran zu treiben. Der Bruder Arthur blieb in Hamburg.

Johanna Schopenhauer schrieb in Weimar erfolgreich ihre Romane und Reisebeschreibungen und führte einen angesehenen literarischen Salon von überregionaler Ausstrahlung. Goethe verkehrte mit Vorliebe in diesem und schätzte die Gespräche im intellektuellen Zirkel des Schopenhauerschen Anwesens. So wurde auch die junge Adele mit dem Gedankengut des um 1800 in kultureller Blüte erstrahlendem kleinen Herzogtums erzogen. Sie war klug und hatte umfangreiche Talente. Zum einen war sie eine begabte Schauspielerin. Sie hatte ein großes Verständnis für künstlerische und literarische Fragen. Auch mit der Musik beschäftigte sie sich intensiv. Mit ihren filigranen, detailreichen Scherenschnitten begeisterte Adele Schopenhauer selbst Goethe, mit dem sie im engen Austausch stand, der sie unterrichtete und den sie sogar „Vater" nennen durfte.

Die Bekanntschaft zur geistreichen und schönen Ottilie von Pogwisch, der späteren Frau von Goethes Sohn August, löste in beiden Mädchen eine tiefe Freundschaft aus, die bis zu Adeles Tod hielt. Wenngleich sie nicht ganz ohne Risse blieb, denn Adele merkte sehr wohl, dass die männlichen Bekanntschaften, die beide Mädchen des Öfteren gemeinsam machten, es stets auf Ottilie absahen. Das Gefühl der persönlichen Kränkung, dass sich dabei in ihr auftat, nahm sie lange nicht als solches wahr. Sie gab die Freundin immer wieder frei, und ergab sich selbst in ein glückloses Schicksal, stellte ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse beständig zurück. Zugunsten von Fantastereien und Sehnsüchten, die sie gemeinsam mit Reflexionen über ihre inneren Zustände in ihr „Tagebuch einer Einsamen" notierte. Diese todtraurige Niederschrift bildet die emotionale Verfassung einer jungen Frau ab, die mit so vielen Fähigkeiten gesegnet war und sie doch nicht zu ihrem Vorteil nutzen konnte, weil ihr seelisches Gleichgewicht so empfindlich gestört war. Adele Schopenhauers Zu-sich-selber-Kommen wurde durch viele Faktoren ausgebremst. Einer davon war ihre selbstverständliche Unterordnung unter die Bedürfnisse der Mutter. Der Umgang war von einer gewissen Verständnislosigkeit und Respektlosigkeit vonseiten Johannas geprägt, was sich unter anderem an ihrem Lebensstil zeigte, denn ohne Bedenken bereicherte sie sich an Adeles Erbteil.

1828 reiste Adele ins Rheinland. Hier lernte sie die Archäologin und Salonnière Sibylle Mertens-Schaaffhausen kennen, die damals eine bedeutende Expertin für Numismatik war und selber eine große Münzsammlung in ihrem Besitz hatte. Beide verliebten sich ineinander, was das ohnehin angespannte Verhältnis Sibylles zu ihrem Ehemann Louis weiter förderte. Die Verbindung des Paares war arrangiert und nie glücklich gewesen. Mit dem Eintritt Adeles in das Leben der „Rheingräfin" änderte sich viel. Voller Begeisterung und Leidenschaft soll die Liebe zwischen diesen zwei Frauen gewesen sein. Adele erwachte aus ihrer Zurückgezogenheit und spürte erstmals ganz real die ernstgemeinten Gefühle einer Partnerin. Während Louis Mertens viel im Ausland unterwegs war, wohnte Adele mit ihrer Mutter im Landhaus der Freundin und Geliebten in Unkel bei Bonn. Gemeinsam fuhren sie nach Italien, wo Sibylle gern und häufig war. Die selbstbewusste, autonome Sibylle war es auch, die Adele ermunterte ihre schriftstellerischen Fähigkeiten auszubauen.

Adele Schopenhauer starb im Sommer 1849, 52-jährig an einem Krebsleiden im Hause der Geliebten, nachdem diese sie aufopferungsvoll gepflegt hatte. Sibylle kaufte ihren Grabstein und ließ ihn mit einer berührenden Widmung versehen.

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Vorschaubild, Adele Schopenhauer von Alexander von Sternberg (1806-1868), gemeinfrei 

Johanna und Adele Schopenhauer Ausschnitt von Caroline Bardua (1781-1864), gemeinfrei

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