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Die Liebe in Mythen und Sagen

Florian Russi

Broschüre, 24 Seiten
EUR 2,00

Liebesglück und Liebesleid beschäftigen die Menschen seit Jahrhunderten. Ihren Ausdruck fanden sie in zahlreichen Mythen und Legenden, vom frühen Altertum bis in die frühe Neuzeit.

Der ewige Jude

Ein Mann, der rast- und ruhelos in der Welt herumstreift, sich nur mit dem Nötigsten zufrieden gebend. Der Mann, der sich in der Kirche am tiefsten vor Jesus verbeugt und immer aufmerksam zuhört. Warum er das tut, erfahren Sie in folgendem Märchen.

Der ewige Jude ist der Sage nach auch in Hamburg gewesen. Im Winter des Jahres 1547 tauchte dort ein sonderbarer Fremdling auf, nach dem Aussehen etwa 50 Jahre alt. Aus seinem hageren, tief gebräunten Antlitz funkelten unstete Augen; Bart und Haar, schwarz und grau, wallten über Brust und Schulter herab. Die hohe Gestalt war trotz der strengen Kälte nur mit leinenem Rock, Mantel und zerfetzten Hosen bekleidet. Der seltsame Wanderer, der nirgends lange weilte und mit niemand verkehrte, stützte sich auf einen Stab, den er in der Mitte faßte, seine Füße waren nur von Sandalen geschützt.

Zur selben Zeit hielt sich im elterlichen Hause Paulus von Eitzen auf, der in Wittenberg die Gottesgelehrtheit studierte und später Bischof in Schleswig wurde. Ihm fiel der wunderliche Mann auf, und als er ihn  auch in der Kirche andächtig  zuhören, bei dem Namen Jesu sich tiefer als alle andern Hörer verneigen sah, wurde sein Interesse so lebhaft, daß er dem fremden folgte und ihn zur Rede stellte.

Dieser antwortete, er sei zu Christi Zeit ein Schuhmacher in Jerusalem gewesen, sein Name sei Ahasverus. Als der Herr unter der Last des Kreuzes zusammengebrochen, kurze Rast an Ahasverus Tür gesucht, da habe er ihn in blindem Eifer hinweggestoßen. Darauf habe Christus den Unbarmherzigen angesehen und gesprochen: „Ich muß hier ruhen als ein Sterbender für die Sünden der Menschheit. Du aber sollst gehen und keine Ruhe finden bis an den jüngsten Tag!" Er habe bei der Kreuzigung zugeschaut, anfangs erbarmungslos; dann aber sei der Geist des Zweifels und der Reue über ihn gekommen. Nun habe er keine Ruhe mehr gehabt, habe Haus und Heimat, Weib und Kind verlassen und seine  ziel- und rastlose Wanderung durch alle Länder der Erde angetreten. Noch einmal sei er nach Jerusalem zurückgekehrt, aber die einst hochgebaute Stadt sei einem Trümmerhaufen ähnlich gewesen, ein Bild des Schreckens, wie er es in seiner Seele trage.

Von den gesehenen Ländern und Völkern erzählte  der ewige Jude vieles, denn die ganze Erde hatte er durchwandert. Auch unterwarf er sich willig seiner Examination durch den gelehrten Magister Matthäus Delius, der damals Rektor der Hamburger Schule war. [...]

Überhaupt eignete der Ruhelose sich jede fremde Scprache ohne Erlernung an, wie er denn in Hamburg nicht nur hochdeutsch, sondern auch plattdeutsch redete. In den gewöhnlichsten Herbergen pflegte  er kurze Zeit zu weilen; Geld nahm er nur an, um es kurz darauf zu milden Zwecken wieder anzuwenden. So sagt noch ein alter Spruch:

 "Der ew'ge Jude läuft durch die Welt, Spricht alle Sprachen, veracht't das Geld."

Jeder Spott, jede Lästerung Gottes und des Heilands war ihm in tiefster Seele zuwider; dann wurde er redselig und ließ es an den eindringlichsten Ermahnungen nicht fehlen, den Frevlern sein eigenes unstetes Leben als warnendes Beispiel vorzuführen.

Im Jahre 1533 wurde der ewige Jude, wie alte Chroniken nachweisen, in Stade, 1601 in Lübeck und 1606 wieder in Hamburg gesehen.

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Märchen aus: "Sagen und Märchen aus Hamburg" von Gundula Hubrich-Messow

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